Von Kindheit an zieht es Andreas Kieling in Wälder und an Flüsse. Auch in den Romanen von Jack London findet er sein Zuhause. Lebenswelt und Zukunftsaussichten in der DDR werden ihm zu eng. Im Herbst 1976 hinterlässt der Sechzehnjährige seinen Eltern in Jena eine Notiz: „Macht Euch keine Sorgen, bin bei einem Freund“. Mit Karte, Kompass, Fallschirmjägermesser und Fernglas im Rucksack bricht er mit dem Zug nach Bratislava auf. Von dort wenige Kilometer flussaufwärts würde vermutlich die Donau am Eisernen Vorhang ihrer Breite wegen am ehesten als unüberwindbar gelten. Nach dem Sprung aus dem langsam einrollenden Zug beginnt ein Pirschen durch Sträucher, Gestrüpp und unwegsames Gelände Richtung Devínska Nová Ves. In der Nacht dicht heran an die Zäune, um die Grenzsoldaten zu beobachten. Die nächste Nacht scheint günstig zu sein, es regnet. Jetzt gibt es kein Zurück mehr. Der erste und der zweite Zaun sind schnell überwunden. Dann bleibt ein Fuß an einem Alarmdraht hängen, Scheinwerfer leuchten den Grenzstreifen aus. Der Satz in den morschen dritten Zaun wird fast zur Falle, doch die Befreiung gelingt mit dem Militärmesser. Dann der Sprung in die Donau mit Abtauchphasen. Die Gewehre rattern, eine Kugel streift den Lendenwirbel. Verletzt taucht Andreas mitten in der Nacht auf einem Weinviertler Dorffest auf. Ein Grenzgendarm versichert ihm: „Hier bist Du frei!“ In einem Wiener Krankenhaus wird seine Wunde verarztet.